Berichte aus der Gefangenensammelstelle – Dokumentation einiger Rechtsbrüche der Polizei
Im
Rahmen der Proteste gegen den AfD-Parteitag am 30. April 2016 auf dem
Messegelände in Stuttgart kam es zu zahlreichen Ingewahrsamnahmen
durch die Polizei. Etwa 900 Personen wurden in die provisorische
Gefangenensammelstelle in der Messehalle 9 gebracht. Hierbei kam es
zu unzähligen, teils gravierenden, Grund- und
Menschenrechtsverletzungen. Einzelne Gefangene berichteten von
massiven körperlichen und sexuellen Übergriffen durch
Polizeibeamte. Es brachen auch mehrere Personen aufgrund der
desolaten Haftbedingungen und der strapaziösen Gesamtumstände
zusammen und mussten ärztlich versorgt werden.
Die
Gesamtheit der Rechtsbrüche durch die Polizei ist so umfangreich,
dass eine umfassende Darstellung nicht möglich ist. Da die
schockierenden Vorkommnisse, bis auf einen Artikel in der
Tageszeitung neues
deutschland, kaum
Beachtung gefunden haben, soll im Folgenden eine Darstellung
erfolgen.
Hierbei
stützen wir uns auf unsere eigenen Beobachtungen vor Ort, sowie auf
Gedächtnisprotokolle inhaftierter Einzelpersonen.
Bei
dem Polizeieinsatz gegen die Demonstranten wurden massiv Grund- und
Menschenrechte verletzt. Die ergriffenen Maßnahmen gegen ca. 900
Personen sind auch durch vereinzelte Straftaten, beispielsweise
Böllerwürfe und angezündete Autoreifen, nicht zu rechtfertigen.
Die meisten festgesetzten Demonstranten wurden so lange festgehalten,
dass sie an der für 13.00 Uhr angemeldeten Demonstration gegen die
Politik der Partei Alternative
für Deutschland nicht
mehr teilnehmen konnten. Von einzelnen Polizeibeamten wurde dies
sogar als explizites Ziel der Maßnahme benannt. Die Polizei kündigte
ebendies auch in einer Pressemitteilung vor den Protesten an: „Wer
auf der Messe negativ auffällt wird die Demonstration in Stuttgart
kaum mitbestreiten können.“ (Pressemitteilung des
Polizeipräsidiums Reutlingen vom 27.04.2016).
So
entsteht der Eindruck, dass es der Polizei gerade darauf ankam, das
von ihr im Vorfeld der geplanten Proteste gezeichnete Szenario
Wirklichkeit werden zu lassen. Die Ingewahrsamnahme von mehr als 900
Personen stellt einen massiven Angriff auf das Grundrecht der
Versammlungsfreiheit dar. Der Staat kann nicht wegen einzelner
Straftaten komplette Versammlungen festsetzen, um die Demonstranten
an der Teilnahme an einer angemeldeten, friedlichen Demonstration zu
hindern. Das ist grob unverhältnismäßig. Im vorliegenden Fall wäre
die Polizei zunächst gehalten gewesen, gegen einzelne Störer
Platzverweise auszusprechen und die übrigen Versammlungsteilnehmen
nicht zu behelligen.
Hinzu
kommt, dass sich alle festgesetzten Demonstranten unnötig lange in
Gewahrsam befanden, die meisten für mehr als 12 Stunden. In dieser
Zeit wurden sie nicht oder nur mangelhaft mit Informationen versorgt,
den wenigsten wurde der Grund ihrer Festnahme erläutert. So ist bis
heute unklar, ob die Ingewahrsamnahmen auf Grundlage von
Gefahrenabwehrrecht oder auf Grundlage der Strafprozessordnung
erfolgte.
Auch
Telefonate mit Anwälten waren nicht möglich und wurden aktiv
verhindert. Seitens einiger Richterinnen vor Ort wurde immer wieder
mit einer Gewahrsamsfortdauer bis 20.00 Uhr des Folgetages gedroht,
für den Fall, dass die Aussage verweigert wurde. Es ist aber ein
fundamentales Recht, die Aussage in einem solchen Fall zu verweigern.
Diese Methoden grenzen an Nötigung.
Allgemein
ergibt sich aus allen Berichten, dass die Festgesetzten höchst
unzureichend mit Nahrungsmitteln und Getränken versorgt wurden.
Entgegengesetzte Darstellungen der Polizei sind schlichtweg falsch.
Auch
gab es nur sehr sporadisch Zugang zu Toiletten, Waschgelegenheiten
gab es gar nicht.
Teilweise
wurde sogar der Zugang zu Medikamenten für kranke Personen nicht
gewährleistet, auch auf mehrmaliges Nachfragen wurde dieser nicht
sichergestellt. Asthmatikern wurde ihr Asthmaspray vorenthalten,
Diabetikern ihr Insulin, Allergiker hatten keinen Zugriff auf ihre
Notfallmedikation. Auch Frauen, die ihre Periode hatten, durften
nicht zur Toilette und bekamen keine Hygieneartikel zur Verfügung
gestellt.
Diese
desolaten, teilweise folterähnlichen Zustände führten zu
zahlreichen physischen und auch psychischen Zusammenbrüchen der
Gefangenen.
Besonders
gravierend stellte sich die Situation in den sogenannten Sammelzellen
dar. In diesen gehegeähnlichen Konstruktionen fühlten sich die
Gefangenen wie Tiere behandelt. Es gab weder Sitzgelegenheiten, noch
einen ausreichenden Sichtschutz vor den Blicken der Polizeibeamten.
Auch konnten die Zellen durch am Hallendach befestigte Kameras gefilmt und eingesehen werden. Hierdurch entstand ein
Gefühl der permanenten Überwachung. Zudem waren Personen auch
innerhalb der Zellen über mehrere Stunden mit Kabelbindern
gefesselt. Dadurch waren für sie Trinken und Nahrungsaufnahme sowie
eigenständige Toilettengänge unmöglich. Die festgesetzten Personen
wurden immer wieder gezielten Demütigungen und Bedrohungen seitens
der Polizeibeamten ausgesetzt, denen sie hilflos ausgeliefert waren.
Auch war subjektiv ein Ende dieser Lage nicht absehbar. Zudem drangen
immer wieder Polizeibeamte in die Zellen ein und es kam zu
körperlichen Übergriffen auf die bereits wehrlosen Personen.
Diese
Art der Objektivierung von Menschen stellt einen Verstoß gegen die
Menschenwürdegarantie dar und ist daher aufs Schärfste zu
verurteilen. Die Polizei als Organ des Staates ist in besonderem Maße
an die Grund- und Menschenrechte gebunden und darf ein solchen
Verhalten nicht an den Tag legen.
Diese
allgemeine Einschätzung deckt selbstverständlich nicht alle
Einzelfälle ab, in denen Personen unter besonderes widrigen
Bedingungen festgehalten, misshandelt, beleidigt und Opfer
sexistischer Übergriffe wurden. Auch die vielen Minderjährigen, die
rechtswidrig stundenlang festgehalten wurden, ohne dass ihre Eltern
informiert wurden, und die festgesetzten Pressevertreter können hier
nur kurz genannt werden.
Insgesamt
ist dieser Polizeieinsatz skandalös – wir rechnen damit, dass es
ein rechtliches Nachspiel geben wird. Wir gehen auch davon aus, dass
Betroffenen der Maßnahme einen Anspruch auf Entschädigung und
Rehabilitation zusteht.
Kontakt:
0157/53328993
_________________________________________________
Darstellung dreier Einzelfälle – was geschah
Um
7.22 Uhr am Morgen des 30. April 2016 teilte die Polizei einer
größeren Gruppe von ca. 450 Personen auf einer Kreuzung in der Nähe
der Messe Stuttgart mit, dass sie sich nun in Polizeigewahrsam
befänden. Zuvor hatte diese Gruppe versucht, eine Kreuzung zu
blockieren und war dabei von bayerischen und baden-württembergischen
Polizeikräften eingekesselt wurden, dabei kam es zu vereinzelten
Böllerwürfen.
Dieser
Kessel wurde anschließend von der Polizei nach und nach geräumt –
Einzelpersonen wurden herausgezogen und weggebracht. Dieser Prozess
begann um ca. 8.00 Uhr und endete um ca. 12.00 Uhr.
Bereits
hierbei ging die Polizei unverhältnismäßig brutal vor: So wurden
allen Personen die Hände mit Kabelbindern auf dem Rücken gefesselt,
Einzelpersonen wurden bei den Festnahmen verletzt. Nicht alle
festgesetzten Personen wurden gleichbehandelt, vielmehr wurden
willkürlich und ohne erkennbare Logik unterschiedliche Maßnahmen
angewandt.
Im
Folgenden werden wir drei idealtypische Einzelfälle dokumentieren.
A) Nina1, 19 Jahre alt, 13 Stunden in Gewahrsam
Nina wurde um 10.30 Uhr brutal aus dem Kessel herausgezogen. Zwei
Polizisten fixierten sie mit Kopf und Knie auf dem Boden und
verdrehten ihr die Arme. Dabei wurde sie auch von einem der
Einsatzkräfte aus BaWü sexualisiert beleidigt: „Das ist
anscheinend deine sexuelle Lieblingspose!“
Nachdem
ihr die Hände mit Kabelbindern auf dem Rücken gefesselt wurden,
wurde sie an diesen hochgehoben, sodass ihre Füße den Bodenkontakt
verloren – dabei wurden ihre Arme erneut sehr schmerzhaft verdreht,
sie hatte Angst, dass ihre Schultern ausgekugelt werden. Anschließend
wurde sie vor Ort zu einer Kamera getragen. Diese Maßnahme wurde mit
dem Vorwurf des Widerstandes begründet. Nachdem sie von vorne und
der Seite fotografiert wurde, brachten Einsatzkräfte sie in einen
Kleinwagen, in dem sie mit vier anderen Personen saß. Keiner der
Personen wurde angeschnallt, alle hatten ihre Hände auf dem Rücken
gefesselt und konnten sich daher nicht festhalten. Es folgte eine
schnelle, kurvenreiche Fahrt zur Messehalle 9, wobei die Personen
immer wieder im Auto herumgeschleudert wurden. Einem Mitinsassen, der
an Diabetes leidet und sich im Zustand der Überzuckerung befand,
wurde sein Insulin verweigert und auch kein Arzt gerufen. Sein
körperlicher Zustand verschlechterte sich dadurch rapide.
Der
Kleinwagen stand mit verdunkelten Scheiben in der Messehalle – keinem Beamten war es möglich einzusehen, wie es den dort eingesperrten
Personen erging.
In
diesem gesamten Zeitraum war es den dort gefesselt eingesperrten
Personen daher nicht möglich etwas zu trinken, zu essen oder die
Toilette zu besuchen. Nach einer Wartezeit von ca. einer Stunde
wurden nach und nach die männlichen Personen aus dem Kleinbus
herausgeholt. Nina blieb ganz alleine bei geschlossenen Türen für
ca. 5 Stunden im Kleinwagen. Ihr wurde in dieser Zeit Essen, Trinken
und der Toilettengang verweigert. Erst um ca. 16.00 Uhr war es Nina
möglich die Toilette zu besuchen und eine Zigarette zu rauchen,
Essen und Trinken blieben ihr auch auf mehrmaliges Nachfragen
verwehrt. Danach wurden die Hände mit Kabelbindern vorne gefesselt.
Das
mittlerweile 6-stündige Eingesperrtsein in dem sehr warmen Kleinbus
mit schlechter Luft ohne Essen und Trinken führte zu Kopfweh und
Schwindel.
Um
ca. 17.00 Uhr – aufgrund der langen Wartezeit hatte die Betroffene
das Zeitgefühl verloren – wurden ihr ihre Tasche und Jacke
abgenommen. Eine gefühlte halbe Stunde später wurde diese in ihrem
Beisein durchsucht – was dazwischen damit passierte, ist unklar. Im
Anschluss wurden die Personalien aufgenommen und erneut Fotos von
Nina gemacht. In einem Durchsuchungszelt – mit geöffnetem
Reißverschluss, von außen einsehbar – musste sich Nina komplett
ausziehen. Obwohl sie nackt war, wurde sie nochmal von zwei Frauen
abgetastet – diese Maßnahme ist reine Schikane. Anschließend
wurden ihre Tattoos und Narben fotografiert. Auch nach mehrmaligen
Nachfragen wurde es Nina verweigert, zu telefonieren.
In
diesem gesamten Prozess wurde es ihr einmal kurz erlaubt zu trinken,
es war ihr immer noch nicht erlaubt zu essen. Anschließend wurde sie
in eine Einzelzelle in einem Gefangenentransporter verbracht, der
auch im Inneren der Messehalle stand. Dabei wurde ihr angedroht, dass
sie bis 20.00 Uhr am Folgetag dort bleiben müsse. Nach einiger Zeit
wurden drei weitere Frauen in die ca. 2m² große Zelle gebracht. Es
war sehr eng, die Luft war schlecht und es war extrem heiß. Da die
anderen Personen nicht gefesselt waren wurden nun auch endlich Ninas
Handfesseln gelöst. Um ca. 20.00 Uhr wurde Nina ein zweiter
Toilettenbesuch zugestanden. Danach wurde sie, wieder gefesselt, zu
einem eingegrenzten Platz in der Messehalle verbracht. Nach 12
Stunden bekam Nina dann zum ersten Mal etwas zu essen – ein
Brötchen. Um 21.15 Uhr wurde Nina mit einem Bus vom Messegelände
gebracht. Gegen sie wurde ein Platzverweis ausgesprochen. Sie hatte
über 12 Stunden ohne richterliche Anordnung im Polizeigewahrsam
verbracht. Ihre Hände waren blau und taub von den Handfesseln, sie
hat Prellungen und blaue Flecken von der Festnahme. Der Bus setzte
sie an einer S-Bahnhaltestelle außerhalb von Stuttgart aus.
B) Lena2, 30 Jahre alt, 12 Stunden in Gewahrsam
Lena
wurde bereits gegen 8.20 Uhr aus dem Polizeikessel abgeführt. Auf
Nachfrage, aus welchem Grund sie in Gewahrsam genommen werde, erhielt
sie keine Antwort. Stattdessen wurden ihr, obwohl sie keinerlei
Widerstand geleistet hatte, die Hände mit Kabelbindern auf dem
Rücken fixiert. Diese wurden so eng angelegt, dass die Durchblutung
der Hände nicht mehr gewährleistet war und sich nach etwa einer
halben Stunde ein Taubheitsgefühl in der linken Hand einstellte.
Lena
wurde vor Ort weder fotografiert, noch wurden ihre Personalien
festgestellt. Sie musste sich mit anderen festgesetzten Demonstranten
in eine Reihe stellen, bis sie von einem Linienbus abgeholt wurden.
In den Linienbus wurden etwa 60 Personen gebracht, alle mit
Handfesseln auf dem Rücken. Weil nicht ausreichend Sitzplätze
vorhanden waren, mussten sich etwa 10 Personen auf den Boden setzen,
außerstande, sich irgendwie festzuhalten. Nach einer kurzen Fahrt,
während der einzelne Personen durch den Bus geschleudert wurden, kam
der Bus gegen 10.20 Uhr vor der Gefangenensammelstelle an. Dort stand
der Bus zunächst zwei weitere Stunden und heizte sich in der Sonne
langsam auf. In dieser Zeit wurden den Gefangenen weder
Nahrungsmittel, noch Getränke zur Verfügung gestellt,
Toilettengänge wurden nur teilweise ermöglicht. Danach fuhr der Bus
in die Messehalle, wo er eine weitere Stunde rumstand, die Gefangenen
waren immer noch gefesselt, weswegen sie trotz einer mittlerweile
unerträglichen Hitze nicht im Stande waren, ihre Winterjacken
auszuziehen. Dann endlich wurden die Türen geöffnet, die Personen
durften aussteigen. Endlich kam ein Polizeibeamter mit einer
0,5-Liter-Flasche Wasser, aus der er einzelnen Gefangenen zu trinken
gab.
Lena
wurde dann in ein Durchsuchungszelt gebracht, wo sie sich bis auf die
Unterwäsche entkleiden musste. Nachdem sie und ihre Habseligkeiten
durchsucht worden waren, wurde sie zu einer Kamera gebracht. Ihr
wurde von einem Polizeibeamten mitgeteilt, dass sie verdächtigt
werde, sich eines versuchten Landfriedensbruchs strafbar gemacht zu
haben. Diesen Straftatbestand gibt es jedoch überhaupt nicht. Der
Landfriedensbruch nach § 125 StGB stellt ein Vergehen dar, dessen
Versuch nicht strafbar ist. Danach wurde sie einmal von oben bis
unten abgefilmt, auch ihr Personalausweis wurde vor die Kamera
gehalten. Dann nahmen die Polizeibeamten Lenas Sonnenbrille, die sie
in ihrem Rucksack gefunden hatten, und sagten ihr, sie müsse diese
aufziehen. Als sie dies verweigerte, wurde ihr die Sonnenbrille
zwangsweise aufgesetzt, daraufhin wurde sie mit der Sonnenbrille
abgefilmt.
Danach
wurde Lena zu einem Computerarbeitsplatz gebracht, an dem zwei
Polizeibeamte saßen. Diese gaben ihre Daten in den Computer ein.
Lena teilte den Beamten mit, dass sie Widerspruch gegen die
Ingewahrsamnahme und gegen das Abfilmen einlege und dass sie
diesbezüglich eine schriftliche Bestätigung verlange. Dies wurde
ihr versagt. Auf ihre Frage nach den Dienstnummern der Beamten und
dem Namen des Einsatzleiters wurde nur geantwortet: „Das geht dich
gar nichts an!“.
Lena
fragte dann, was jetzt geschehe. Ihr wurde mitgeteilt, dass ihre
persönlichen Gegenstände jetzt verwahrt würden und sie in eine
Sammelzelle gebracht werde, „zur weiteren Bearbeitung.“ Lena kam
dann in eine provisorische Zelle, diese war mittels Bauzäunen
umgittert, etwa 6 x 6 Meter groß und mit Teppichboden ausgelegt.
Dort befanden sich bereits etwa 15 weitere Frauen. Es gab mehrere
angebrochene Wasserflaschen, die sich die Frauen teilen mussten, und
eine nicht abschließbare Chemietoilette. Essen wurde Lena nicht zur
Verfügung gestellt, auf Nachfrage wurde ihr von einem Polizisten vor
der Zelle mitgeteilt, dass die Zelle schon Essen bekommen hätte, sie
habe eben Pech gehabt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Lena seit etwa neuen
Stunden nichts gegessen.
Eine
Zellenmitinsassin, die mit der Situation offensichtlich überfordert
war, begann irgendwann aus Verzweiflung gegen die Bauzäune zu
treten. Daraufhin stürmten mehrere männliche Polizeibeamte mit
erhobenen Schlagstöcken in die Zelle und stießen das Mädchen zu
Boden. Sie drückten sie mit dem Kopf auf den Teppich und legten ihr
Handfesseln an. Dann wurde sie hochgerissen und brutal aus der Zelle
geschubst und weggebracht. Die übrigen Zelleninsassinnen, unter
ihnen auch einige Minderjährige, waren von dem Vorgehen derart
schockiert, dass mehrere Mädchen aus Angst in Tränen ausbrachen.
Irgendwann
wurde Lena dann aus der Zelle geholt und zu einer Richterin gebracht.
Diese fragte sie, wie und wann sie zu der Blockade angereist war und
wer die Anreise organisiert habe. Lena verweigerte die Aussage,
woraufhin die Richterin ihr mitteilte, dass sie, wenn sie nicht
aussage, anordnen würde, dass Lena bis zum nächsten Tag um 20.00 Uhr
in Gewahrsam bleiben würde.
Nach
der Vernehmung wurde Lena dann erkennungsdienstlich behandelt, ihr
wurden Finger- und Handabdrücke mit Tinte abgenommen, sie wurde
gemessen, gewogen und ihre Narben und Tattoos wurden fotografiert.
Dann wurde sie in eine andere Sammelzelle gebracht.
Gegen
19.00 Uhr wurde Lena dann aus der Zelle abgeholt, ihr wurden ihre
persönlichen Gegenstände ausgehändigt und sie musste sich in einen
Bus setzen. Dieser fuhr sie dann zusammen mit etwa 15 weiteren
Personen zu einer S-Bahn Endhaltestelle, wo sie aus dem
Polizeigewahrsam entlassen wurde.
C) Marco3, 27 Jahre alt, 12 Stunden in Gewahrsam
Um
ca. 11.00 Uhr wurde Marco brutal am Kopf aus dem Kessel gezogen.
Anschließend wurden ihm die Hände mit Kabelbindern auf dem Rücken
gefesselt. Dann musste er sich in der Sonne hinsetzen und auf einen
Bus für seinen Abtransport warten. Nach ca. einer Stunde fuhr ein
Linienbus „Sonderfahrt“ vor. Marco musste sich in den Bus setzen.
Dort wartete er eine weitere Stunde bis der Bus mit Gefangenen
gefüllt war. Einzelne Personen mussten sich mit gefesselten Händen
auf den Fußboden setzen, andere standen. Keiner hatte die
Möglichkeit sich festzuhalten. Auf diese Problematik angesprochen,
reagierten die anwesenden Polizisten mit Schulterzucken, „das ist
nicht unser Problem“.
Die
Fenster konnten nicht geöffnet werden, sodass es im Bus sehr schnell
sehr warm wurde. Der Bus fuhr anschließend auf den Platz vor der
Messehalle 9. Dort wurde den Gefangenen das Aussteigen aus dem Bus
verwehrt. Nach einer Stunde stiegen die Gefangenen trotzdem aus dem
Bus aus, da es in diesem unerträglich heiß und stickig wurde. Bis
dahin gab es seit etwa 3 Stunden keine Versorgung mit Wasser und
Essen und keine Möglichkeit eine Toilette zu benutzen. Vereinzelt
durften nun Personen zur Toilette, einer Chemietoilette in der
Messehalle. Hierbei wurde es den Gefangenen nicht ermöglicht, sich
die Hände zu waschen, was insbesondere bei einem Mädchen, welches
gerade seine Periode hatte und seinen Tampon gewechselt hatte, auf
Unmut stieß. Wer etwas trinken wollte, musste sich von einem Beamten
Wasser in den Mund gießen lassen, was von vielen Gefangenen als
demütigend empfunden wurde.
Einige
junge Frauen wurden dabei von männlichen Polizisten kommentiert: „Du
bist doch ein junges, hübsches Ding, du hast es doch gar nicht
nötig, mit denen abzuhängen, treff dich doch lieber mit uns.“ Im
Laufe der Zeit fuhren drei weitere Busse vor. Marco konnte
beobachten, dass die Situation sehr unterschiedlich war: In einem Bus
durfte niemand aussteigen und alle blieben gefesselt; die Insassen
eines anderen Busses hatten keine Kabelbinder und konnten sich frei
bewegen.
Gegen
16.00 Uhr lockerten sich die Bedingungen: Es gab die Möglichkeit
sich die Hände vor dem Körper fesseln zu lassen, sodass es
zumindest möglich war, eigenes Essen und eigene Getränke zu sich zu
nehmen, zudem wurden Dixie-Klos in der Nähe des Busses
bereitgestellt. Trotzdem mussten die Gefangenen mindestens sieben
Stunden entweder in der Sonne oder im aufgeheizten Bus ausharren. Die
meisten trugen seit dem kalten Morgen noch ihre Winterjacken, die sie
aufgrund der Handfesseln nicht ausziehen konnten.
Im
Bus befanden sich zudem mehrere Minderjährige – da die Polizei den
Gefangenen weder den Vorwurf mitteilte, ihre Personalien
kontrollierte oder ihre Rechte mitteilte, war der Polizei dies
überhaupt nicht bekannt. Hinweise der Gefangenen auf die
Minderjährigen wurden ignoriert. Auch auf mehrmalige Nachfrage
konnte kein verantwortlicher Beamter genannt werden, es gab keine
Möglichkeit zu telefonieren. Erst heimliche Anrufe bei den Eltern
der Minderjährigen mit mitgeführten, eigenen Mobiltelefonen führten
schlussendlich dazu, dass diese nach etwa 7 Stunden in Gewahrsam
„frühzeitig“ zur Personalienfeststellung mitgenommen wurden.
Ab
ca. 17.00 Uhr besserte sich die Versorgungslage mit Essen und
Trinken. Die Polizei stellte Wasser und belegte Brötchen bereit. Zu
dem Bus, dessen Insassen es verwehrt blieb, diesen zu verlassen,
musste in diesem Zeitraum mehrfach der Krankenwagen kommen. Marco
konnte mind. 5 Einsätze beobachten, bei denen Personen mit
Kreislaufzusammenbrüchen u.ä. versorgt werden mussten.
Nachfragen
bei der Polizei, wann man gehen könne, wurden mit Verweis auf die
Demonstration in der Innenstadt abgetan – solange diese laufe,
dürfte niemand der festgesetzten Personen das Messegelände
verlassen, dies sei eine Anweisung von ganz oben. Wer „ganz oben“
sei, konnte aber nicht konkretisiert werden.
Kurz
nach 18.00 Uhr wurde Marco mit dem Linienbus in das Innere der Halle
gefahren – hier musste er eine weitere halbe Stunde innerhalb einer
Wagenburg aus Polizeiautos warten. Immer noch hatte kein Polizist ihm
erklärt, was der Vorwurf sei, der diese lange Ingewahrsamnahme
rechtfertigen solle, die Namen des zuständigen Polizeibeamten wurden
ihm verweigert: „Das weiß ich selber nicht, wer das hier zu
verantworten hat.“
Dann
wurde Marco herausgewinkt, er und seine Tasche wurde durchsucht. In
der Tasche fand sich u.a. eine Mütze, eine Hose und eine
Sonnenbrille. Danach kam er zu einem Computerarbeiterplatz, wo seine
Daten aufgenommen wurden.
Eine
Station weiter wurde sein Personalausweis abgefilmt. Dann wurde er
von vorne, der Seite und hinten gefilmt. Die Hose wurde auch gefilmt.
Dann wurde er gezwungen, die Mütze und die Sonnenbrille aufzusetzen.
Sein Widerspruch gegen diese Maßnahmen wurde zwar aufgenommen, er
erhielt aber keinen schriftlichen Beleg. Auch die Namen der
zuständigen Polizeibeamten wurden erst nach mehrmaligem Nachfragen
preisgegeben – die Vornamen wurden nicht genannt. Anschließend
wurde Marco in einem Kleinbus zu der Bushaltestelle Plieningen-Post
gebracht – diese lag sehr abgelegen. Um 20.30 Uhr war Marco nicht
mehr im polizeilichem Gewahrsam. Aufgrund des langen Ausharrens in
der Sonne, dem wenigen Trinken und dem permanenten Tragen einer
Winterjacke hatte er sehr starke Kopfschmerzen und Kreislaufprobleme.
Es zeigten sich Anzeichen eines Sonnenstichs. Die Beschwerden sind
auch nach zwei Tagen noch nicht vollständig abgeklungen.
Insgesamt
war Marco 13 Stunden im polizeilichem Gewahrsam – das erste Mal,
dass ein Polizeibeamter mit ihm in direktem Kontakt trat, war nach 11
Stunden.
Die
Maßnahmen wirkten dabei vollkommen willkürlich: weder war es für
die Polizeibeamten nachvollziehbar, wo er aufgegriffen worden war,
noch von wem und wann.
1Name
geändert
2Name
geändert
3Name
geändert
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen